Spirit Wiik

Eine Erzählung

Der Anfang

Alles begann mit Fra Bernardino (*1939 †2022). Vor etwa dreißig Jahren entdeckte er auf den Hügeln hoch über der kleinen Stadt Cesi die Überreste eines alten Klosters. Es war bloß noch eine Ruine inmitten des Waldes. Doch Fra Bernardino hatte das Gefühl, dass er auf etwas Besonderes gestoßen sei. Also begann er damit, die Mauern vom Efeu zu befreien und das Areal zugänglich zu machen. 

Er war der einzige Priester in der Gegend. So kümmerte sich Bernardino um mehrere Dörfchen und war, den Erzählungen nach, ein sehr angesehener und geliebter Mensch. Mit seiner Vespa sei er durch die Wälder gefahren, um hier und da den Gottesdienst abzuhalten. Dann kam auch noch diese neue Lebensaufgabe dazu. Wie sich herausstellte, lebte in diesem besonderen Kloster einst der heilige Franz von Assissi. Und nicht nur das, an eben diesem Ort, habe er den ersten Entwurf des allbekannten Sonnengesangs verfasst; „laudato si, o mi signore“. 

Bernardino hatte seine Bestimmung gefunden. Ab dem Jahre 1991 begann er also, dem hl. Franziskus gleich, das Kloster samt seiner kleinen Kirche mit bloßen Händen wiederaufzubauen. Er schlief in der kalten Ruine und arbeitete zwischen den Gottesdiensten so oft es nur ging an der von ihm benannten Romita di Cesi

Heute ist das Kloster, wie schon vor vielen hundert Jahren, eine Pilgerstätte und ein Rückzugsort. Nun hausen dort Gabriele und seine Lebensgefährtin Salome als Bernardinos Nachfolger. Sie kümmern sich um das Kloster, den Garten, die Tiere und die vorbeiziehenden Pilger, welche sie herzlich empfangen. 

Was hat das alles mit Afzack zu tun?

Im September 2023 machte sich eine kleine Gruppe von zehn Leuten auf, um an eben jenem Örtchen ein paar Tage der Zurückgezogenheit und der Ruhe zu genießen. Zum ersten Mal fand das Projekt Spirit Wiik statt. Yoga-Matthe und Yogalehrerin Rahel haben die Gruppe durch die Woche begleitet. Zu Beginn wusste niemand so recht, was auf sie zukommen würde oder wie das Programm gestaltet sei – wenn es denn eines gibt. Also kamen diese zehn Leute am Fuß des Hügels an und spazierten in kollektiver Ungewissheit durch den Wald, entlang einiger Überreste antiker römischer Straßen und an einem Schild vorbei, auf dem stand: „La Romita è in salita come la vita.“

Lockerheit war die Devise

Nach einer Weile gelangten sie zu einem eisernen Tor. Sie wurden direkt willkommen geheißen von drei sehr kräftigen, laut bellenden Wachhunden. Dazwischen erschien eine etwas sonderbare Gestalt in langem braunen Mönchskittel und spitzer Zipfelmütze, Gabriele – ein etwas spezieller Priester, der mit strahlendem Grinsen im bärtigen Gesicht die verwunderten Gäste einließ. Sofort waren sie alle verzaubert vom Anblick der Romita, vom herzlichen Empfang und von der langsam stärker werdenden Vorfreude auf das Kommende. 

Nachdem sich dann alle in den rustikalen Schlafgemächern eingefunden hatten, gab es ein erstes Zusammensitzen, um den Ablauf der nächsten Tage zu besprechen. Der Plan war, dass die Teilnehmenden nichts vom Plan erfahren werden. Rahel und Yoga-Matthe zielten darauf ab, Achtsamkeit durch den Fokus auf den Moment zu fördern. Lockerheit war die Devise. 

In der Romita gibt es aber auch einige Regeln, die für alle gelten. Jeden Tag um 06:00 Uhr morgens spaziert die junge Gastmutter Salome durch die Schlafgemächer, Kalimba oder Flöte spielend und ruft zur Morgenmesse. Dabei wird sie von einem der dicken Wachhunde melodisch begleitet, der etwas weniger sanft dazu bellt. Pünktlich um 06:30 Uhr versammeln sich alle in der kleinen Kirche. Die Gäste, welchen Glauben auch immer, werden gebeten teilzunehmen. Nicht aus Zwang, sondern darum, das morgendliche Ritual des Zusammenseins zu zelebrieren. Fra Gabriele predigt dabei aus freier Laune heraus, erzählt von ein paar Lebensweisheiten und stimmt gemeinsam mit Salome zu lieblichen Liedern an. Natürlich nehmen auch die Hunde an der Messe teil, liegen genüsslich vor dem Altar und lauschen dem herrlichen Gesang. Danach wird zusammen gefrühstückt, in Stille. 

Nachdem sich dann alle wieder gesammelt, ihr Geschäft mit der Taschenlampe im dunklen Klo erledigt oder eine eiskalte Dusche unterm Regensammelbecken genommen haben, begann die morgendliche Yoga-Session, mal gemütlich, mal fordernd. 

››Godati la vita! Stai sereno!‹‹

In der Romita di Cesi gibt es noch eine unausgesprochene Regel, die schnell verstanden wird; alle packen mit an. Die alte Pilgerstätte ist nicht einfach zu erhalten, besonders wenn es darum geht, für die lebenserhaltenden Selbstverständlichkeiten selbst zu arbeiten. So gibt‘s immer was zu tun, sei es den Hof zu kehren, den Gemüsegarten zu pflegen, die Tiere zu füttern, das Geschirr mit minimalem Wasserverbrauch zu spülen, Holz zu hacken für den großen Kamin, Trinkwasser zu holen, das nur am Fuße des kleinen Berges aufzufüllen war und vieles mehr. Wir können uns nur vorstellen, wie die Leute dort den Winter überdauern. Aber am wichtigsten sei immer noch das Kochen. Kochen verbindet, vor allem das gute Essen, welches man gemeinsam genießt, sagt Gabriele. Harte Arbeit ist wichtig und richtig, aber ››Godati la vita! Stai sereno!‹‹ 

Das Programm

Nachmittags war dann Zeit fürs Hauptprogramm, welches je nach Stimmung und Wetter angepasst wurde. Am zweiten sonnigen Tag ging es also in den Wald mit einer kleinen Aufgabe. Das Thema hieß Gruppenintuition. Niemand macht einen Laut, aber gemeinsam soll eine Richtung eingeschlagen werden, bis die Gruppe sich einen schönen Ort zum Schweigen ausgesucht hatte. Dort angekommen wurde der Fokus auf die Sinne gerichtet, auf das Wahrnehmen allen Lebens im Walde, auf das Rauschen der Blätter und das Knistern unter den nackten Füßen, den Geruch feuchter Erde, wie der sanfte Wind über die Haut streift und die Finger über die raue Rinde grünbewachsener Bäume. Besonders aber darauf, wie das ganze zusammenspielt. Irgendwann brach Rahel das Schweigen. Nun sollten alle die Augen schließen, langsam zwischen den anderen umherwandeln, bis ein jedes sein oder ihr Gegenüber gefunden hatte. Anschließend begaben sie sich in die Meditation, jeweils zu zweit, wiederum schweigend. 

Abends ließ man den Tag gemütlich ausklingen. Es wurde gemeinsam oder alleine über das Erlebte reflektiert, eine lockere Diskussionsrunde angestimmt, oder einfach mal was gespielt. Im Großen und Ganzen war das Projekt ein Experiment, aber ein voller Erfolg. Man hätte nur die strahlenden Gesichter der Teilnehmenden bei ihrer Rückkehr sehen müssen. Aber auch ihre Worte lassen auf den magischen Eindruck dieses Erlebnisses schließen:

 

 

 

“The Spirit Week was a beautiful opportunity to reconnect with the basic beauty of life through an adventurous but well-organized week of spiritually healing activities. Moreover, making wonderful new connections with people who share interest in the same topics through deep and valuable discussions about life and happiness. Thank you so much<3“

Koen

Vielleicht darf ich behaupten, dass Fra Bernadino mit Freude auf sein Erbe blicken würde. Sein Lebenswerk hat vielen Menschen bereits Kraft geschenkt und ist auch nach seinem Tode in guten Händen. Was er geschaffen hat wird noch lange nachwirken, wie auch seine Botschaft, die er allen mit auf ihre Wege gab: 

“Mantenetevi giovani, sani e contenti.”

Fra Bernardino