Kraftsingen

mit Alex Unteregger

Interview

I: Wer bist du? Was machst du?

A: (lacht) immer wieder eine schöne Frage! Mein Name ist Alex Unteregger, ich bin Werkpädagoge. D.h. ich begleite Kinder und Jugendliche in der Gestaltung ihres Lebenswerkes, arbeite zur Zeit auf dem Burger Hof, koordiniere dort Schulprojekte und bin sonst auch sehr aktiv im Werkeln und Machen auf dem Bauernhof. Sonst bin ich auch besonders aktiv im Bereich Achtsamkeit, also Eisbaden, Schnaufen und Kraftsingen.

I: Apropo Kraftsingen. Du wirst beim diesjährigen Mental Health Festival wieder einen Workshop dazu abhalten, erzähl mir bitte mehr darüber!

A: (lacht) Kraftsingen ist eine uralte Geschichte. Sobald das Feuer entdeckt wurde, hat man sich im Kreis ums Feuer gesetzt. Es gibt Vermutungen, dass man vor dem Reden sogar gesungen hat. Im Prinzip ist Kraftsingen sich im Kreis zu treffen und gemeinsam zu singen. Es hilft Kraft zu tanken, aber genauso Dinge gehenzulassen. Man trifft sich also im Kreis, in welchem es keine wirkliche Hierarchie gibt, denn alles darf sein, jeder und alles soll seinen Platz haben. Das heißt, wenn jemand zwischendurch ein Gedicht oder einen Witz erzählen will, oder lachen, oder schreien, oder bloß zuhören, oder nur summen will, ist das alles möglich. Es basiert auf der Kreiskultur. Es gibt zwar jemanden, der das anleitet, in diesem Fall bin ich das, aber im Laufe des Kraftsingens sollte es sich eigentlich auflösen. 

Singen, Zuhören, Hineinfühlen...

Es geht viel ums Singen, aber auch ums Zuhören und Hineinfühlen, was da gerade passieren darf und soll. Man singt Lieder aus verschiedensten Traditionen. In unserem Büchlein sind mittlerweile Lieder aus der ganzen Welt vorhanden. Es sind eher simple Lieder mit kurzen Texten, welche in vielen Wiederholungen gesungen werden. Es kann schon mal vorkommen, dass ein Lied eine halbe Stunde lang dauert. Mir persönlich taugen die Ur-Lieder sehr und wir übersetzen auch viel in den Dialekt. In diesem Rahmen haben wir letztens einen Jodel-Workshop organisiert. 

Was passiert da?

Durchs Singen erzeugen wir eine Vibration und gehen in Resonanz miteinander, mit uns selbst und auch mit der Umwelt. Irgendwo ist alles eine Art Frequenz und Schwingung. Durch dieses Singen kommen wir in eine gewisse Schwingung, in der wir uns mit der Natur und mit uns selbst verbinden. Diese Verbindung kann man sich vorstellen wie ein Stromsystem. Wenn man sich mit der Hauptleitung verbindet, erhält man sehr viel Kraft bzw. kann man auch Kraft in diese Leitung abspeisen. Da passiert nichts anderes, als dass wir uns zusammensetzen, singen und in Resonanz mit der Umwelt und der Gemeinschaft gehen. 

Was das alles mit mentaler Gesundheit zu tun hat leuchtet von Vornherein ein, denke ich. Aber ich kann vielleicht noch zwei Dinge dazu sagen. Wenn es ums Thema Gesundheit geht, geht es auch ums Bei-Kräften-sein und darum, unstimmige Kräfte gehenzulassen bzw. innere Konflikte zu lösen. Wir leben in unserem Haus, in unserem Körper, und wenn da Konflikte sind, sei’s auf körperlicher oder seelischer Ebene, können sich viele Dinge lösen, wenn wir daran mal ordentlich rütteln. Dieses Rütteln bzw. dieses Kraftgebende des Singens bewirkt einen sehr starken Release von Emotionen, Gedanken usw. und dadurch ist es oft so, dass jemand weinen muss, oder eine besondere Textstelle durch das ständige Wiederholen verinnerlicht wird und einen weiterbringen kann. Z.B. gibt es in einem Lied die Textzeile: There is no high, there is no low, there is nowhere I could go, just inside a little star, telling me be as you are. Und diese Textzeilen inspirieren natürlich auf konzeptioneller Ebene, aber durch die Vibration können sich auch viele Dinge lösen bzw. Kraft aufbauen.

Gemeinschaft und Harmonie...

Eine zweite Sache beim Kraftsingen ist die Gemeinschaft. Die Harmonie, welche man beim Singen in einer Gemeinschaft erleben kann, ist einzigartig. Musik wird im Kopf anders abgespeichert als alles andere, dadurch ergibt sich ein Feld, in dem man sich ohne Urteil und ohne großes Tamtam verbindet. Man spürt den Kreis und die Gemeinschaft als Eins und vor allem etwas, das einen hält. Das ist im Bereich von mentaler Gesundheit etwas Essenzielles, dass man einen Kreis, eine Gemeinschaft hat, die einen hält, auch in den verrücktesten Situationen. Eben das kann man im Kreisgesang ganz stark spüren, dass wir alle eins sind und uns alle gegenseitig unterstützen, bedingungslos verbunden. Somit wirkt es für die mentale Gesundheit aufs Persönliche durchs Kraft tanken, oder persönliche Konflikte durchzustehen, aber genauso auf gemeinschaftlicher Ebene, weil man sich zusammenfindet und die Gemeinschaft wirklich spürt.

übers Spüren habe ich meinen Zugang gefunden...

I: Schön! Da muss ich ja gar nicht viel nachfragen! Aber eines noch, wie bist du zu dem Ganzen gekommen?

A: Ah, das ist spannend. Also, als ich aufgewachsen bin, war ich eigentlich sehr sehr kritisch gegenüber allem, was mit Spiritualität zu tun hat. Ich war sehr skeptisch und ein großer Feind der Kirche. Dann hatte ich aber das Glück, dass ich zu einem Kreis eingeladen wurde, wo gesungen worden ist. Man hat mir immer gesagt: „des muasch du glauben“, was mich immer störte, weil ich kein Typ bin, der einfach irgendwas glaubt. Schließlich habe ich bei meinen ersten Kraftsingen plötzlich etwas gespürt und erlebt. Das war nicht mehr abstrakt, sondern ein wirkliches Gefühl, ein Gespür, eine Verbindung. Und diese Vibration in meinem Körper… ich denke, übers Spüren habe ich meinen Zugang gefunden. Ich war viel in der Welt unterwegs und alles, was mit Musik zu tun hatte, alles, was schön klang, hat mich angezogen. Und zurück in Südtirol habe ich überall gesucht, aber es hat nirgendwo einen Singkreis gegeben. Dann haben wir’s eben selbst gemacht. Anfangs waren wir zwei-drei Leute und es ist Schritt für Schritt weitergegangen, es kamen immer mehr Leute dazu, neue Lieder, Instrumente und jetzt haben wir ein Büchlein mit x Liedern aus der ganzen Welt. Beim letzten Mental Health Festival waren ca. 60 Leute… mega! Ich bin sehr dankbar, dass ich da dabei sein durfte. 

I: Wow… magst du zum Abschluss sonst noch etwas sagen?

A: Ja, wichtig ist, alles kritisch zu hinterfragen und zu beleuchten. Man kann sich in solchen Dingen logischerweise auch verlieren. Wenn man nur mehr singt und nur mehr in irgendwelchen Welten herumschwirrt… aufpassen, dass man sich nicht verliert und das leben, was man singt. Nur singen ist nicht die Lösung. 

I: Danke!